Vulnerabilität
Die Anfälligkeit gegenüber Veränderungen der Umwelt wird seit den 1980er Jahren immer wieder unterschiedlich definiert. Der wissenschaftliche Gebrauch des Begriffs Vulnerabilität hat seinen Ursprung in der Geographie und der Forschung zu Naturgefahren. Heute ist der Begriff zentraler Punkt verschiedener Forschungsansätze im Naturgefahren- und Katastrophenmanagement, in der Ökologie, Gesundheit, Entwicklungshilfe, Nachhaltigkeit und Klimafolgenforschung.
Nachhaltigkeit
Die Vulnerabilität ist ein Maß für die Anfälligkeit eines Bezugsraumes, einer Bezugsgruppe, eines Objektes, eines Individuums und/oder eines Systems für die Folgen eines Ereignisses. Bei dem System kann es sich um ein sozio-ökologisches, technisches, ökonomisches, institutionelles oder auch politisches System handeln. Vulnerabilität umfasst aber nicht nur die Charakteristik eines Raumes, Systems oder von Personen, sondern auch ihre Handlungs-kapazitäten in Form von Bewältigungs- und Anpassungsprozessen.
Vereinfacht gesagt beschreibt die Vulnerabilität, wie empfindlich das jeweilige Objekt auf innere und äußere Störereignisse reagiert. Dies schließt die Wahrscheinlichkeit für mögliche Schäden ein (TURNER et al. 2003), aber auch die Fähigkeit, wie das System mit den Einflüssen umgeht, um die Systemdienstleistungen weiterhin aufrechterhalten zu können (BIRKMANN et al. 2013).
Sehr häufig wird der Begriff „Vulnerabilität“ in Kombination mit dem Begriff „Resilienz“ (Belastbarkeit) verwendet und teilweise werden beide Begriffe durcheinander geworfen. Problematisch ist dabei, dass beide Begriffe unterschiedliche Aspekte des Systems be-schreiben. Da es keine generell anerkannte Definition für Vulnerabilität gibt, ist bei der Verwendung des Begriffs darauf zu achten, dass er je nach Hintergrund und Zusammen-hang mit unterschiedlichen Bedeutungen belegt ist (LENZ 2009). Je nach Definitionsansatz kann man sich dabei beispielsweise auf die geographische Lage, das Geschlecht, das Alter, die politische Zugehörigkeit, den Zugang zu Ressourcen, den Wohlstand oder den Einfluss von Entscheidungsträgern beziehen (www.climate-adaptation.info).
Resilienz
Vulnerabilität ist objektbezogen, d.h. sie bezieht sich stets auf einzelne Objekte, ganze Struktursysteme, räumliche Einheiten oder Schutzgüter (=Risikoelemente). Sie ist gefahrenspezifisch, d.h. sie kommt dann zum Tragen, wenn sich ein schädigendes Ereignis mit z. B. physischen Schäden zeigt. Die Auswirkungen lassen jedoch keinen direkten Rückschluss auf die Vulnerabilität des Risikoelements zu. Dies ist erst in Kombination mit der Betrachtung der Art und Intensität des Ereignisses möglich. Zudem kann ein Risikoelement eine unterschiedlich hohe Verletzlichkeit gegenüber unterschiedlichen Gefahren aufweisen (LENZ 2009).
Vulnerabilität ist multidimensional, d.h. sie wird durch zahlreiche Einflussfaktoren unterschiedlicher Dimensionen bestimmt, die in vielfältiger Weise miteinander in Wechselwirkung treten können. Dazu können die Einflussfaktoren mit der räumlichen Betrachtungsskala variieren, weshalb bei der Methodenentwicklung darauf geachtet werden muss, dass die gewählte Beobachtungsebene den Risikoelementen gerecht wird (LENZ 2009).
Das Konzept der Vulnerabilität ist ein theoretischer Ansatz für ein komplexes Phänomen, das nicht direkt beobachtet werden kann. Bei der Vulnerabilität handelt es sich um keine feste Größe, sondern sie wird durch das Handeln der betroffenen Menschen beeinflusst. Zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen befassen sich mit diesem Phänomen, wobei sich jedoch das Verständnis des Begriffs sowie die verwendeten Untersuchungsmethoden stark voneinander unterscheiden. Bei den Naturwissenschaftlern stehen die möglichen physischen Schäden im Vordergrund. In der Klimafolgenforschung bezieht sich die Vulnerabilität auf die Eintrittswahrscheinlichkeit klimabezogener Ereignisse unter Berücksichtigung der Exposition. Dagegen verwenden Sozialwissenschaftler die Vulnerabilität stellvertretend für ein Set aus sozioökonomischen Faktoren, die die Fähigkeit beschreiben, wie Menschen oder die Gesellschaft Stress oder Veränderungen bewältigen können (vgl. Anpassungskapazität).
Siehe "Anpassungskapazität"
Bisher gibt es noch kein allgemein anerkanntes Konzept, das in der Lage ist, diese unterschiedlichen Ansätze in schlüssiger Weise zusammenzuführen. Das nützlichste Element des Vulnerabilitätskonzeptes ist die Vorstellung, dass eine Gefahr nicht unmittelbar in ein Risiko übersetzt werden kann. Vielmehr beschreibt die Vulnerabilität das Maß der Verwundbarkeit in Bezug auf eine gegebene Gefahr.
Vulnerabilität – Gefahren- und Katastrophenbetrachtung
Im Bereich der Gefahren- und Katastrophenbetrachtung werden neben gefährlichen Stoffen (GABOR & GRIFFITH 1980, PIJAWKA & RADIAN 1985) Umweltgefahren (CUTTER et al. 2000) oder genauer spezifische Naturkatastrophen (UNDRO 1982, ALEXANDER 1993) genannt, die zu einer Bedrohung für die Bevölkerung und somit zu einer Erhöhung der Vulnerabilität führen. In verkürzter Form lässt sich der Ansatz auf der Webseite des NOAA Coastal Services Center nachlesen (www.csc.noaa.gov). Hier wird die Vulnerabilität als das Niveau der Exposition von menschlichem Leben, Eigentum und Ressourcen gegenüber den Schäden durch Naturgefahren definiert.
Vulnerabilität – Regionen und Gesellschaft
Das Schadenspotenzial sowie das Vorsorge- und Reaktionspotenzial bestimmen, inwieweit eine Region oder eine Gesellschaft verwundbar gegenüber einem definierten Ereignis ist (SUSMAN et al. 1984, CUTTER 1993). Steigt das Schadenspotenzial, so steigt auch die Vulnerabilität. Durch eine bessere Vorsorge gegenüber Gefährdungen kann die Vulnerabilität sinken (www.stadtklimalotse.net). Vulnerabilität ist folglich ein dynamischer Zustand, der sich mit der Zeit verändern kann.
BOHLE et al. (1994) betrachten bei ihrer integrierenden Definition den vielschichtigen und mehrdimensionalen gesellschaftlichen Raum, der für jeden Zeitpunkt und Ort durch die politische, wirtschaftliche und institutionelle Kapazität der Menschen definiert wird.
Vulnerabilität - Klimawandel
In Bezug auf den Klimawandel, kann die Vulnerabilität als ein Maß dafür verstanden werden, inwieweit ein System anfällig für die Auswirkungen von Klimaextremen, schwankungen und -veränderungen ist bzw. nicht fähig ist, diese zu bewältigen (PARRY et al. 2007). Gemäß dieser Definition setzt sich die Vulnerabilität aus den Teilen Exposition, Sensitivität (Empfindlichkeit) und Anpassungskapazität zusammen. Die Exposition gibt hierbei an, inwieweit eine Region oder ein System bestimmten Veränderungen ausgesetzt ist (z. B. veränderte Niederschlags- oder Temperaturbedingungen). Die Sensitivität gibt die Empfindlichkeit des betroffenen Systems an und die Anpassungskapazität beschreibt die Fähigkeit einer Region oder eines Systems, sich durch Umsetzung von Maßnahmen an die veränderten Bedingungen anzupassen (PARRY et al. 2001). Dabei hängt die Anfälligkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels nicht nur von der Empfindlichkeit des Systems, sondern auch von deren Anpassungsfähigkeit ab (WILOWS & CORNELL 2003).
Anpassungskapazität
Einen konkreteren Definitionsansatz liefern SAREWITZ & PIELKE (2000), die nur die Anfälligkeit eines Systems für die Folgen von Extremwetterereignissen berücksichtigen.
Das IPCC benennt als besonders anfällige Bereiche den Wassersektor, die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft, die Finanz- und Versicherungsindustrie sowie den Gesundheitssektor.
Hinweis: Bei der Verwendung des Vulnerabilitätskonzepts müssen im Vorfeld das Risikoelement sowie alle Beteiligten definiert und dokumentiert sein. Vereinfacht gilt es, folgende Fragen zu beantworten: Wer oder was verursacht eine Vulnerabilität, und bei wem?
Quellen (Stand 28.10.13)
Alexander, D. (1993): Natural disasters. New York: Chapman & Hall, 632 S. Birkmann, J., Böhm, H. R., Buchholz, F., Büscher, D., Daschkeit, A., Ebert, S., Fleischhauer, M., Frommer, B., Köhler, S., Kufeld, W., Lenz, S., Overbeck, G., Schanze, J., Schlipf, S., Sommerfeldt, P., Stock, M., Vollmer, M., Walkenhorst, O. (2013): Glossar Klimawandel und Raumentwicklung (2., üb. Fassung), - E-Paper der ARL Nr. 10. Hannover, 33 S. Bohle, H. G., Downing, T. E. & Watts, M. J. (1994): Climate change and social vulnerability: the sociology and geography of food insecurity. - Global Environmental Change 4, 37-48. Cutter, S .L., Mitchell, J. T. & Scott, M. S. (2000): Revealing the vulnerability of people and places: A case study of Georgetown county, South Carolina. - Annals of the Association of American Geographers, vol. 90, no. 4, pp. 713-737. Gabor, T. & Griffith, T.K. 1980: The assessment of community vulnerability to acute hazardous materials incidents. - Journal of Hazardous Materials, 8, 323-333 IPCC (2001): Climate Change 2001: Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to the Third Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge: Cambridge University Press Parry, M. L., Canziani, O. F., Palutikof, J.P., van der Linden, P.J., & Hanson, C. E. (eds.) (2007): Contribution of Working Group II to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, 976 pp Lenz, S. (2009): Vulnerabilität Kritischer Infrastrukturen. - 89 S. (Hrsg.: Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe). Pijawka, K. D. & Radwan, A. E. (1985): The Transportation of Hazardous Materials: Risk Assessment and Hazard Management. - Dangerous Properties of Industrial Materials Report: 2-11 Sarewitz, D. & Pielke Jr., R.A. (2000): Breaking the Global-Warming Gridlock. The Atlantic Monthly, 286 (July): 55-64. Susman, P., O'Keefe, P. & Wisner, B. (1984): Global disasters: a radical interpretation. – In: Hewitt, K. [ed.]: Interpretations of calamity, 264-83. Turner II, B. L., Kasperson, R. E., Matsoon, P. A., McCarthy, J. J., Corell, R. W., Christensen, L., Eckley, N., Kasperson, J. X., Luers, A., Martel-lo, M. L., Polsky, C., Pulsipher, A., & Schiller, A. (2003): A Framework for Vulnerability Analysis in Sustainability Science. - Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 100(14) (8 July): 8074-8079. UNDRO (1982): Natural disasters and vulnerability analysis. Geneva: Office of the United Nations Disaster Relief Co-ordinator. [ed.: United Nations Disaster Relief Organization] Willows, R. I. & Cornell, R. K. (eds.), 2003: Climate Adaptation: Risk, Uncertainty and Decisionmaking. - UKCIP Technical Report, Oxford. 154 S. www.climate-adaptation.info www.csc.noaa.gov/vata/intro2.html www.stadtklimalotse.net/glossarZurück zum Inhaltsverzeichnis